Anschwellende Werbeklänge

Aus: Frankfurter Rundschau Magazin, 25.03.2006. Autor: Helge Stroemer

Mehr als 80 Prozent aller Werbespots sind heute mit Musik unterlegt. Die akustischen Kaufanreize dudeln in Telefon-Warteschleifen, im Radio und breiten sich immer mehr im öffentlichen Raum aus.

 

Wilbert Hirsch sitzt an seinem schwarzen Yamaha-Flügel und spielt mit der rechten Hand eine Melodie. Es sind nur neun Töne. Während der letzte Klang noch im Raum verhallt, geht er zum Computer. Die Tasten klappern. Auf dem Bildschirm erscheint ein Werbespot, eine Stimme singt dazu den Tchibo-Slogan « Jede Woche eine neue Welt ». Es ist dieselbe Melodie, die Hirsch gerade auf dem Klavier vorgespielt hat. Die Klänge sind genau auf dem Werbe-Text abgestimmt, jede Silbe wird von einem Ton verstärkt. Während der Clip Langschaftstiefel, Sneaker und Rippen-Rolli aus dem Tchibo- Einkaufssortiment anpreist, wird die Melodie dreimal wiederholt. Hirsch hat sie komponiert. Nur nennt der 44-Jährige sie nicht Melodie, sondern Audiologo.

Mit anderen Worten: Seine Komposition ist ein akustisches Firmenlogo. Man kann sie überall einsetzen : in Werbespots, in beschallbaren Einkaufszentren, als Handy-Klingelton und Warteschleifenmusik, in Flughäfen und Bahnhöfen. « Alles ist denkbar», sagt er. Seine Kompositionen funktionieren nach den Mechanismen des Pawlowschen Reflexes: Sie sollen die Menschen an ein bestimmtes Unternehmen oder Produkt erinnern und bei ihnen eine unbändige Kauflust auflösen. Hirsch hat sich mit der Hamburger Firma Audio Consulting Group darauf spezialisiert, solche Audiologos zu entwickeln. Er weiß, wie emotional Musik wirkt, wie sehr sie Menschen beeinflusst. « Musik arbeitet subtil und spricht die unterbewusste Ebene an», sagt er.

Hirsch hat klassiche Gitarre studiert, neben dem Studium in Bands gespielt und als DJ gearbeitet. Anfang der 80er Jahre begann er für die Werbung zu komponieren, und schrieb auch Soundtracks für Filme wie « An American Werewolf in Paris » oder « Balko ».

Aber seine Leidenschaft gehört der Werbemusik. Bei dem Thema wird seine Stimme eindringlich, er spricht schnell, Begriffe wie « Acoustic Branding », « Sound Identity » oder « Corporate Songs » fallen in jedem Satz. Er weiß, dass sich im Markt für Werbemusik derzeit viel bewegt. Inzwischen legen sich immer mehr Unternehmen wie beispielsweise Intel, Audi, Siemens oder die Commerzbank neben einem grafischen auch ein Audiologo zu. « Wir wollen weg von den zufälligen Bauchentscheidungen », sagt Hirsch. Die Welt wird durchkomponiert.

Die Deutsche Telekom hat es vorgemacht: dadada-di-da. Die fünf Klaviertöne sind derzeit eines der bekanntesten akustischen Markenzeichen in Deutschland. Jürgen Häusler, Agentur-Chef von Interbrand Zintzmeyer & Lux, betreute die Einführung des Audiologos: « Werbefilme mit reitenden Cowboys verbindet man eindeutig mit Marlboro, genauso soll man auch die fünf Klaviertöne sofort der Telekom zuordnen können.», sagt er. Der New Yorker Chris McHale hat die Tonfolge komponiert. Die Telekom hat sich bewusst für einen US-Musiker entschieden, denn das audiologo sollte auf keinen Fall irgendwie deutsch klingeln. Schließlich wird damit weltweit für den rosaroten Global Player geworben. Das Konzept ging auf: Die fünf Töne haben in vielen Ländern einen Wiedererkennungswert, die Schar der Nacheiferer wächst.

Dudel-, Klingel- und Klimper-Töne

Mit der Folge, dass unsere Umgebung immer mehr von Dudel-, Klingel- und Klimper-Tönen beschallt wird. « Wir leben in der lautesten Welt, die es je gab », klagt Rüdiger Liedtke. In seinem Buch « Die Vertreibung der Stille » beschreibt er, wie die anschwellenden Werbeklänge uns zusetzen und beeinflussen. « Wir werden immer mehr durch Musik und Geräusche manipuliert. Die Werbung nutzt aus, dass Musik positiv besetzt ist », sagt er. Und sie greift dabei oft zu akustischen Tricks: Im TV-Werbeblock steigt die Lautstärke an, der genussvolle Biss in die Chips kracht dann wie ein Gewitter, Bier zischt und braust wie ein Wasserfall, « Geiz-ist-geil »-Slogans werden in Orkanlautstärke heraus gebrüllt.

 

Selbst Telekom-Werber Häusler fürchtet dieses « Guerillamarketing ». «Irgendwann schreien wir so laut, dass uns Am Ende keiner mehr zuhört», prophezeit er. Den Schuldigen hat er auch schon ausgemacht: « Das kommt davon, weil die Werbeindustrie den jeweiligen Trends immer hinterher jagt. Der Wettbewerber zwingt die Branche zu einer Überdosis werblicher Kommunikation. » Dass er selbst mit dazu beiträgt, will er so nicht stehen lassen. «

Es kommt eben darauf an, es qualitativ besser zu machen. « Wobei er für sich in Anspruch nimmt, dass seine Agentur es besser macht.

Mehr als 80 Prozent aller Werbespots sind heute mit Musik unterlegt, die Tendenz ist steigend. Aber viele Töne verklingeln immer noch planlos. « Man nimmt, was die Leute schon kennen », sagt der Komponist Lutz Wollersen.
Wir sitzen im Studio seiner Hamburger Produktionsfirma « City Jive », wo schon viele Werbespots vertont wurden. Es ist ganz still und fast dunkel, während der Werbefilm auf einem Fernsehmonitor zu sehen ist. Die Jalousien sind heruntergezogen, kein Laut dringt von außen in die mit Dämmplatten ausstaffierte Studiowelt. Plötzlich wummern House-Beats aus den Boxen. Wollersen spielt parallel zum Film die Musik ein – das ist der Sound gegen Schuppen. Mit diesen Klängen soll in einem 25-Sekunden-Fernsehspot für das Anti-Schuppen-Shampoo Terzolin geworben werden. Der Film ist schon geschnitten, aber jeder Ton muss wie bei einer Soundcollage aufs Bild passen. Eine Fahrstuhltür öffnet sich mit einem Gong.
Ein junger Mann steigt ein. Aber die Menschen im Aufzug wenden sich leicht angewidert von seinem schuppengepuderten Jackett ab. Unter diese Szene legt Wollersen einen langsamen Rhythmus. Der wummernde Bass soll ein unbehagliches Gefühl erzeugen. Sphärische Klänge mit kurzen Trompetensignalen leiten dann die Wende ein. Schnitt, Einblendung Shampoo. Nachdem das Haar gewaschen ist, spielt Wollersen ein paar gefällige Harmonien mit der Gitarre ein. Der junge Mann ist schuppenfrei und strotzt plötzlich vor Vitalität. Wieder hechtet er in den Fahrstuhl. Schnelle Beats treiben ihn in die Mitte der Fahrstuhlgruppe, die ihn nun ausnahmlos bewundert. Eine hübsche Frau lächelt ihm aufmunternd zu.

Was heißt hier Kreativität

So kreativ kann sich Wollersen allerdings nicht immer austoben. « Oft wird vom Kunden zunächst zwar originelle Musik gefordert, doch letzlich setzt sich Althergebrachtes durch » sagt der 45-Jährige. Die Vorliebe der Fimen-Chefs zählt häufig mehr als die Erfahrung der Musikexperten. Deshalb kling Werbung so oft nach mainstream-Rock. Wenn also der Kunde Rolling-Stones-Fan ist, muss oft auch die Werbung des Unternehmens nach Rolling Stones klingeln. Oft werden die Möglichkeiten des Komponisten auch durch das zu bewerbende Produkt eingeengt. « Carefree bleibt eben eine Damenbinde, da kann man musikalisch nicht viel machen », sagt Wollersen.

Wenn man dagegen Werbe-Songs für Jeansmarken oder Brausegetränke schreibt, kann man zeitgemäßer komponieren. « Ich habe lange für diesen Job gelernt », sagt Wollersen. Es sei eine Kunst, Filmsequenzen und Ton exakt aufeinander abzustimmen : Die Mischung Südsee und Heavy Metal funktioniert nicht, Schuppen und House-Beats dagegen schon.

Seit 15 Jahren arbeitet er in der Werbe-Branche, vorher ging er mit diversen Rockbands auf Tournee, schrieb eigene Songs. « Aber irgendwann haben mich die 30-Sekunden-Werbespots sehr gereizt. Die kurzen Sachen machen mir Spaß ». Ein Richtungswechsel – vom Vollblutmusiker zum musikalischen Werbestrategen. Und nicht alles, was seine Zunft fabriziert, macht ihm Spaß. «

Für einen Musiker ist es natürlich schrecklich, was da aus den Handys krächzt. Das ist akustische Umweltverschmutzung », schimpft er. Aber die Konsequenz könne doch nicht sein, dass man sich zurückziehe. « Musik gehört nun einmal zu Filmen und Werbung dazu. Sie ist einfach da. ».

Aber sie wird inzwischen immer gezielter eingesetzt, folgt bestimmten Regeln. Der Wirkungs- und Marketingforscher Jürgen Tauchnitz von der Fachhochschule Lausitz hat diese Mechanismen in den letzten Jahren genauer untersucht. « Die meisten Menschen sind für sprachliche Werbeinhalte nicht mehr aufnahmefähig », sagt er. Musik biete da noch Spielräume. So wird laute Musik als erregend und freudig wahrgenommen, leise dagegen als erlesen, beruhigend und ernst. Die Klänge von bestimmten Instrumenten aktivieren beim Hörer Klischeevorstellungen und Assoziationen : Bässe wirken triumphierend, Flöten verkörpern Reinheit und Hörner rufen innere Bilder von Wald und Jagd hervor. Das ist die Regel.

 

Zuweilen führt aber auch ein Bruch der Stilmittel zum Erfolg: Hip-Hop auf einer Seniorenparty kann auch junge Menschen ansprechen. «Viele suchen danach, was bei Jugendlichen hip ist. Und generell ist alles, was starke Gefühle auslöst, gut», sagt Tauchnitz, «körperliche Reaktionen durch Musik verbessern die Aufnahme von Werbebotschaften.»

Es scheint, als werde der Ton in der Werbeindustrie derzeit erst richtig entdeckt. Lange war öffentliche Kommunikation vor allem fürs Auge gemacht : Botschaften wurden auf Plakaten, in TV- Spots und Zeitungs-Anzeigen, in Pop-ups im Web oder auf Bandenwerbung im Stadion vermittelt. Die optische Reizüberflutung führt aber oft zum Gegenteil von dem, was die Werbestrategen bezwecken : Viele Menschen ignorieren die Werbe-Bilderwelt zunehmend. Beim Klang dagegen gibt es kaum ein Entrinnen mehr. « Man kann leicht die Augen verschließen, die Ohren aber nur schwer», sagt Tchibo- Komponist Hirsch. Deswegen wird immer akribischer an Strategien gefeilt, um den richtigen Ton für ein Unternehmen zu finden. Der Prozess kann sich über einige Monate hinziehen. Erst dann wird die Musik aufgenommen.

Und das Ende ist noch nicht erreicht. Experten prophezeien, dass die Werbetöne bald jede akustische Nische beschallen, in der es klingeln und dudeln kann. « Warteschleifenmusik beispielweise wird sträflich vernachlässigt », sagt Michael Müller, Chef von Krauts PR. Die Münchner Agentur hat die von Djs komponierte CD « Service Orchester – Telefon Revue » herausgebracht. Wenn man so will eine künstlerische Antwort auf die sehr dröge Warteschleifenmusik, mit denen Unternehmen Kunden in der Leitung halten wollen. Die Songs auf der CD sind mit modernen beats unterlegt und klingen nach House, HipHop und Drum & Bass. « Es ist doch dumm, die akustische Eingangstür zum Unternehmen digital geklimperten « Für-Elise »-Versionen zu überlassen.
Da knallt doch jeder gleich den Hörer auf », sagt Müller. Dabei könnte bereits am Telefon ein positives Image vermittelt werden. Das kann man auch anders sehen. Buchautor Liedtke beklagt, dass es mittlerweile schwer sei, sich der permanenten Berieselung im öffentlichen Raum zu entziehen. Aber wenn das Weghören immer schwieriger wird, was soll man tun ? Die Geräte abstellen, den Telefonhörer aufknallen, sich die Ohren zuhalten ? Ohropax wirbt inzwischen mit dem Slogan « Luxus für die Ohren » für seine Gehörschutz-Klassiker – und hat in seiner Werbung bislang auf Audiologos verzichtet.